Fall des Monats

Stürze beim Lachen | 9-2014

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Die 27-jährige Patientin stellt sich ambulant vor, weil sie seit ca. 10 Jahren plötzlich die Kontrolle über ihre Muskelkraft verliert, wenn sie lachen muss oder wenn sie sich intensiv körperlich betätigt, wie z.B. während des von ihr intensiv betriebenen Fitness-Trainings. Der Kontrollverlust über ihre Muskulatur betrifft vor allem die Hals-und Nackenmuskulatur, aber auch die Arme und Beine, so dass ihr Gegenstände aus der Hand fallen oder sie zu Boden stürzt. Die Anfallsfrequenz hängt von der Häufigkeit ab, mit der die adäquaten Auslöser auftreten. Ferner ist sie seit mehreren Jahren vermehrt am Tage müde obwohl sie nachts ausreichend schläft. Es kann durchaus vorkommen, dass sie am Tag plötzlich für zehn bis 20 Minuten einschläft, selbst dann wenn sie sich eigentlich gar nicht richtig müde fühlt. Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat sie ungefähr 30 kg Gewicht zugenommen, ohne dass sie ihre Ernährungsgewohnheiten geändert hätte. Sie hat jetzt einen Body-Mass-Index von 38,7. Weitere Beschwerden hat sie nicht. Psychiatrische Symptome lagen zu keinem Zeitpunkt vor ebenso wenig wie andere Erkrankungen.

Wegen der vermehrten Müdigkeit und Einschlafneigung am Tage liegt eine Indikation zur apparativen schlafmedizinischen Diagnostik vor, die während eines dreitägigen stationären Aufenthalts in einem Schlaflabor durchgeführt wird. Die Polysomnographie ist in allen Aspekten normal. Im Multiplen Schlaflatenz-Test schläft sie bei fünf Einschlafversuchen (durchgeführt um 9, 11, 13, 15 und 17 Uhr) fünf Mal mit einer durchschnittlichen Latenz von 2,6 Minuten ein. Vier Mal tritt ein verfrühter REM-Schlaf (SOREM = sleep onset REM) mit einer durchschnittlichen Latenz von 3,7 Minuten auf.

Die Anamnese und die Befunde des Multiplen Schlaflatenz-Tests begründen die Diagnose einer Narkolepsie mit Kataplexie (= Narkolepsie Typ I). Die Narkolepsie mit Kataplexie führt zur erhöhten Tagesmüdigkeit, bisweilen auch zu abrupt einsetzenden Einschlafattacken mit und ohne gesteigertem Müdigkeitsgefühl, die oft nicht länger als 20 Minuten anhalten. Kataplexien zeichnen sich durch einen Verlust der Muskelkraft (Muskeltonus) aus, der häufig nur in einer Körperregion in emotional konnotierten Situationen (Lachen, Freude, Schreck) auftritt. Die erhebliche Gewichtszunahme ist ebenfalls als Symptom der Narkolepsie mit Kataplexie infolge einer positiven Energiebilanz aufzufassen.

Der Narkolepsie mit Kataplexie liegt fast immer ein Mangel des Neurotransmitters Orexin (= Hypokretin) zugrunde, der ausschließlich im lateralen Hypothalamus gebildet wird. Demgegenüber stellt die Narkolepsie ohne Kataplexie kein Orexin-Mangelsyndrom dar, sondern entspricht einer anderen Krankheitsentität. Vermutlich führt eine autoimmunologisch bedingte, selektive Entzündung im Hypothalamus zum Verlust an Orexin-produzierenden Nervenzellen.

Die medikamentöse Therapie der Narkolepsie mit Kataplexie erfolgt mit Gammahydroxybuttersäure zur Reduktion der kataplektischen Attacken, ferner mit stimulierenden Substanzen wie Modafinil oder Methylphenidat. Mit diesem therapeutischen Ansatz ließen sich bei der Patientin die Häufigkeit der Kataplexien und die Einschlafneigung am Tage deutlich reduzieren, nicht aber das Übergewicht, weswegen sie eine Fettabsaugung in Erwägung zieht.

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