Fall des Monats

Schwangerschaft bei Epilepsie | 7-2015

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Eine 29-jährige Patientin leidet seit ihrem 13. Lebensjahr an einer idiopathisch generalisierten Epilepsie mit morgendlichen Myoklonien (Muskelzuckungen) beider Arme. Zudem ist es seit dem 14. Lebensjahr insgesamt fünfmal morgens nach dem Aufwachen zu einem tonisch klonisch generalisierten epileptischen Anfall gekommen. Häufig sind diese „großen“ Anfälle durch Schlafmangel in der Nacht zuvor getriggert worden. Das Alter bei Erkrankungsbeginn und die beiden Anfallsformen zeigen eine juvenile myoklonische Epilepsie an.

Die Patientin war zu Beginn der Erkrankung mit Lamotrigin behandelt, durch dieses Antiepileptikum kam es aber zu einer Zunahme der morgendlichen Myoklonien. Dies ist ein typischer unerwünschter Effekt von Natrium-Kanal-Blockern. Daraufhin wurde die Patientin auf Valproinsäure umgestellt, sie ist seit 10 Jahren unter einer täglichen Dosis von 1.200 mg frei von jeglichen epileptischen Anfällen.

Die Patientin stellt sich nun vor, da sie in den kommenden Monaten eine Schwangerschaft plant. Wir haben sie darüber aufgeklärt, dass eine Schwangerschaft unter Valproinsäure einerseits mit einem erhöhten Risiko für grobe Fehlbildungen des Kindes einhergehen kann und dass andererseits die intellektuellen Leistungen des Kindes beeinträchtigt sein können. Beide Komplikationen treten umso häufiger auf, je höher die Dosis ist. Daher sollten Schwangerschaften unter Valproat möglichst vermieden werden. Ein jüngst vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte versandter „Rote Hand Brief“ warnt vor Valproinsäure in der Schwangerschaft und weist darauf hin, dass diese Substanz nur eingesetzt werden darf, wenn alle anderen verfügbaren Antiepileptika nicht ausreichend gut gewirkt hatten oder nicht tolerierbare Nebenwirkungen aufgetreten waren.

Wir haben die Patientin dann von Valproinsäure auf Levetiracetam umgestellt. Dieses Antiepileptikum ist nur zur Zusatztherapie, nicht aber zur Monotherapie bei idiopathisch generalisierten Epilepsien zugelassen („off lable use“, d.h. Einsatz eines Medikaments jenseits der Zulassung). Dennoch hat es gerade bei juveniler myoklonischer Epilepsie eine exzellente Wirksamkeit. Leider kam es schon 3 Wochen nach Beginn der Therapie mit Levetiracetam zu psychischen Nebenwirkungen in Form von Angst und depressiven Symptomen. In einem nächsten Schritt behandelten wir die Patientin dann mit Topiramat. Unter 100 mg täglich trat nach 10 Jahren erstmals wieder ein tonisch klonisch generalisierter epileptischer Anfall auf. Die Patientin lehnte eine weitere Dosissteigerung ab. Wir berieten die Patientin dann dahingehend, dass wir zu Valproinsäure zurückkehren. Wir strebten nun aber eine deutlich geringere Dosis von 600 mg täglich an. Diese verteilten wir auf vier Einzeldosen von 150 mg, zusätzlich gaben wir 5 mg Folsäure.

Zusammengefasst sollte eine Schwangerschaft unter Valproinsäure – wenn möglich – vermieden werden. Bei idiopathisch generalisierten Epilepsien ist dieses Antiepileptikum aber die wirksamste Substanz, andere Medikamente können Anfallsrezidive nicht so zuverlässig verhindern. Somit ist es mitunter nicht möglich, auf Valproinsäure in der Schwangerschaft zu verzichten. Es sollte dann aber eine möglichst niedrige Tagesdosis angestrebt werden, um schädigende – teratogene – Effekte auf das Kind möglichst zu vermeiden.

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