Fall des Monats

10-Jähriger mit Valproat-Überdosierung | 8-2015

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Ein 10-jähriger Junge erleidet vor 6 Monaten zwei erste generalisiert tonisch-klonische Anfälle mit einer vorangehenden epigastrischen Aura (d.h. der Patient spürt ein warmes Gefühl in der Magengegend, welches sich langsam nach oben in den Hals ausbreitet). Das Kopf-MRT ist unauffällig, es wird in einem auswärtigen Krankenhaus korrekterweise die Diagnose einer kryptogenen fokalen Epilepsie gestellt. Es wird eine antiepileptische Therapie mit Valproat begonnen, der 36 kg schwere Junge erhält in diesem Krankenhaus ein Aufdosierungsschema mit einer Zieldosis von 1.500 mg täglich.

Es treten unter Valproat zwar keine weiteren epileptischen Anfälle auf, der Junge wird aber zunehmend kognitiv langsamer, die schulischen Leistungen fallen ab, er wirkt letztlich fast apathisch.

Zur Einholung einer zweiten Meinung stellt sich der Junge mit seiner Mutter in unserer Ambulanz für Kinder und Jugendliche mit Epilepsie am Standort KEH vor. In einer dort sofort durchgeführten Bestimmung der Serumkonzentration von Valproinsäure zeigt sich ein massiv erhöhter Wert von 148 mg/l (die obere Grenze des Referenzbereichs liegt bei 100 mg/l). Der Junge wird bei uns stationär aufgenommen, um Valproat zu reduzieren und letztlich die antiepileptische Medikation auf Oxcarbazepin umzustellen. Schon wenige Tage nach unkomplizierter Umstellung macht der Junge einen wacheren Eindruck, die schulischen Leistungen werden sich erst im Verlauf einschätzen lassen.

Es ist richtig, dass nach zwei unprovozierten epileptischen Anfällen das Risiko für einen weiteren Anfall als so hoch eingeschätzt wird, dass eine antiepileptische Therapie notwendig ist. Bei dem oben beschriebenen Jungen liegt eine fokale Epilepsie vor. Bei diesem Syndrom ist Valproat als eher nachgeordnet anzusehen. Das eigentliche Problem lag jedoch in der raschen Aufdosierung des Antiepileptikums mit einer zu hohen Zieldosis. Die Serumkonzentration wurde nicht kontrolliert. Zudem hat es anscheinend keine ausreichende Aufklärung des Jungen und seiner Familie hinsichtlich der Epilepsie und deren Behandlung inkl. des Auftretens von unterschiedlichen Nebenwirkungen gegeben. Dies haben wir nun in ärztlichen und neuropsychologischen Gesprächen nachgeholt.

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