Fall des Monats
Epileptischer Anfall kurz nach Schlaganfall | 4-2016
>> zurück zur StartseiteEin 67-jähriger Patient erleidet plötzlich eine Arm- und Gesicht-betonte Lähmung der linken Körperseite, in der Rettungsstelle wird die Diagnose eines ischämischen Schlaganfalls gestellt. Der Patient wird zur weiteren Behandlung auf die spezialisierte Schlaganfall-Station („Stroke Unit“) aufgenommen. In der ersten Nacht erleidet er erstmals einen tonisch-klonisch generalisierten epileptischen Anfall mit einer Dauer von gut 1 min und einer nachfolgenden Desorientiertheit von 20 – 25 min. Um das Auftreten weiterer Anfälle zu verhindern, bekommt der Patient das Benzodiazepin Clobazam in einer Dosis von 2 x 10 mg, zusätzlich erhält er 2 x 1.000 mg Levetiracetam. Das Clobazam wird nach wenigen Tagen wieder abgesetzt, bei Verlegung in der Rehabilitationsklinik nimmt er weiterhin Levetiracetam in o.g. Dosis.
Dieser Patient hat einen akut symptomatischen epileptischen Anfall erlitten. Ein epileptischer Anfall wird als akut symptomatisch definiert, wenn er innerhalb von 7 Tagen nach einem Schlaganfall oder einer anderen plötzlichen Hirnschädigung auftritt. 70% aller akut symptomatischen Anfälle treten jedoch – wie in dem vorliegenden Fall – innerhalb der ersten 24 h auf. Ca. 5% aller Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall erleiden einen solchen akut symptomatischen epileptischen Anfall, bei Hirnblutungen liegt das Risiko bei etwa 8%.
Die entscheidende Frage ist, wie hoch das Risiko für das Auftreten von weiteren epileptischen Anfällen ist. Für die Akut-Phase, d.h. innerhalb der genannten 7 Tage nach Schlaganfall, liegen keine belastbaren Zahlen vor. Das langfristige Risiko, innerhalb der nächsten 10 Jahren einen weiteren – dann (nach mehr als 7 Tagen) unprovozierten – Anfall zu erleiden, beträgt etwa 30%. Das heißt, dass mehr als zwei Drittel aller Patienten nach einem Schlaganfall-bedingten akut symptomatischen Anfall nie wieder einen epileptischen Anfall erleiden. Daher ist ein akut symptomatischer Anfall definitionsgemäß auch noch keine Epilepsie, da das Rezidivrisiko relativ gering ist.
Aus diesem Grund muss auch nicht langfristig ein Antiepileptikum eingenommen werden. Bei dem genannten Patienten haben wir bei Verlegung in der Rehabilitationsklinik empfohlen, dass das Levetiracetam spätestens nach 3 Monaten wieder abgesetzt werden soll. Leider geschieht dies im klinischen Alltag oftmals nicht.