Fall des Monats

Epileptische Anfälle 50 Jahre nicht erkannt | 5-2016

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Eine 67-jährige Patientin stellt sich erstmals in Begleitung einer Freundin Ende April 2016 in der Epilepsie-Ambulanz der Charité vor. Sie berichtet, dass sie seit dem 11. Lebensjahr wiederholt – in der Regel mehrfach pro Jahr – stereotype Episoden erlebt, bei denen sie sich „komisch“ fühle, sie könne es kaum in Worte fassen. Die Freundin berichtet, dass die Patientin während dieser Episoden nicht adäquat auf Ansprache reagiere. Die Dauer betrage etwa 1-2 min. Orale oder manuelle Automatismen bestünden nicht. Die Patientin hat sich in ihrer Jugend „nicht getraut“, mit ihren Eltern über diese Episoden zu sprechen. Im Laufe ihres weiteren Lebens habe es auch mal Jahre gegeben, in denen diese Ereignisse gar nicht aufgetreten seien. Die Patientin hat diese Episoden als „Herzanfälle“ interpretiert, sie sei immer schon eher kränklich gewesen. Sie hat auch mehrfach mit ihrem Hausarzt über diese Ereignisse gesprochen, dieser habe sich aber – so die Patientin – mit ihrer Einschätzung einer kardialen Genese zufrieden gegeben.

Im Februar 2016 sei dann erneut eine solche Episode im Beisein der erwachsenen Kinder der Patientin aufgetreten. Diese haben die Patientin dann akut in der Rettungsstelle eines Krankenhauses außerhalb Berlins vorgestellt. Die Patientin wurde dort stationär neurologisch aufgenommen, diese Episoden wurden als auf komplex-fokale (= automotorische) Anfälle hochgradig verdächtig eingeschätzt. Ein EEG zeigte eine regionale Hirnfunktionsstörung links temporal, aber keine epilepsietypischen Potenziale. Ein cerebrales MRT zeigt einen Normbefund. Es wurde eine antiepileptische Therapie mit 2 x 250 mg Levetiracetam begonnen.

Aufgrund der eindeutigen Schilderungen von Seiten der Patientin selbst und von ihrer Freundin besteht keinerlei Zweifel an der Diagnose einer fokalen Epilepsie; bei unauffälligem cMRT ist diese ätiologisch kryptogen. Wir halten eine Tagesdosis von 500 mg Levetiracetam für zu gering und erhöhten die Dosis auf 1.000 mg täglich.

Studien an indigenen Völkern in den Anden haben gezeigt, dass das Ansprechen auf ein erstes Antiepileptikum auch nach langjährig regelmäßig auftretenden Anfällen genauso gut ist wie nach dem ersten oder wenigen Anfällen. Die Patientin wird sich in ein paar Monaten erneut in unserer Sprechstunde vorstellen, dann werden wir den Therapieerfolg einschätzen können.

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