Fall des Monats
Epilepsie mit Aufwach-Grand Mal | 9-2016
>> zurück zur StartseiteEine 26-jährige Patientin erleidet im 18. und 19. Lebensjahr erstmals und insgesamt drei tonisch-klonisch generalisierte epileptische Anfälle. Alle drei Anfälle treten innerhalb der ersten 30 min. nach dem morgendlichen Erwachen auf. Die Patientin gibt an, in jener Zeit einen sehr unregelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus gehabt zu haben. In einem damaligen EEG fanden sich generalisierte spike-wave-Komplexe mit einer Frequenz von 3/s. Es wurde korrekterweise die Diagnose einer idiopathisch generalisierten Epilepsie gestellt. Diese Form macht etwa 20% aller Epilepsien aus. Das Subsyndrom bei der hier beschriebenen Patienten ist eine Epilepsie mit Aufwach-Grand mal.
Bei der Behandlung der idiopathisch generalisierten Epilepsie mit Aufwach-Grand Mal ist Valproinsäure das Mittel der Wahl. Wegen möglicher Schädigungen des Embryos während der Schwangerschaft (Teratogenität) wird diese Substanz aber bei Frauen im gebährfähigen Alter nicht eingesetzt. Unsere Patientin war seit dem dritten Grand Mal mit Lamotrigin 100 mg/d behandelt, diese Substanz wurde nebenwirkungsfrei vertragen.
Wahrscheinlich aufgrund der anhaltenden Anfallsfreiheit hat sich die Patientin dann 5 Jahre nicht mehr in unserer Sprechstunde vorgestellt. Als sie dann im Alter von 26 Jahren wiederkam, berichtete sie, das Lamotrigin vor 6 Monaten gänzlich abgesetzt zu haben. Sie wollte von uns wissen, ob wir diesen Schritt gutheißen würden.
Wir konnten die Patientin darüber aufklären, dass es sich bei den idiopathisch generalisierten Epilepsien eher um eine gutartige Form handelt. Langfristig wird das Risiko immer geringer, dass noch weitere epileptische Anfälle auftreten. Nach Absetzen der Antiepileptika erleiden jedoch mehr als die Hälfte der Patienten ein Anfallsrezidiv.
Da unsere Patientin aber insgesamt nur drei epileptische Anfälle erlitten und das Antiepileptikum aus eigenem Antrieb heraus schon abgesetzt hatte, entschieden wir uns nach 6 Monaten Anfallsfreiheit ohne Antiepileptikum dafür, dieses nicht wieder anzusetzen.
Dieser Fallbericht zeigt, dass das Absetzen von Antiepiletika bei Epilepsie immer eine individuelle Entscheidung ist, die sowohl biologische Aspekte als auch die Erwartungshaltung von Patienten berücksichtigt.