Fall des Monats

Anfallsfrei ein Jahr nach Epilepsiechirurgie | 6-2014

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Ein 18-jähriger Patient leidet seit der frühen Schulzeit an einer fokalen Epilepsie mit monatlich 2-3 automotorischen (= komplex-fokalen, d.h. mit einer Bewusstseinsstörung einhergehenden) Anfällen. Der Patient hat in den vergangenen 10 Jahren bereits vier unterschiedliche Antiepiletika eingenommen, ohne dass es zu einer relevanten Reduktion der Anfallsfrequenz gekommen war. Ätiologisch ist die Epilepsie auf eine linksseitige Hippocampus-Sklerose, also einen narbigen Umbau von Strukturen im mesialen Schläfenlappen, zurückzuführen.

Der Patient berichtet über zahlreiche Einschränkungen im sozialen Leben, wie beispielsweise beim Schwimmen oder beim Erwerb des Führerscheins. Zudem fühlt er sich – 1 Jahr vor dem Abitur – wegen der häufigen Anfälle in seiner kognitiven Leistungsfähigkeit eingeschränkt.

Der Patient stellte sich im Frühjahr 2013 erstmals in unserer Epilepsie-Sprechstunde vor. Schnell war klar, dass bei dem Patienten zeitnah eine Evaluation hinsichtlich eines epilepsie-chirurgischen Eingriffs erfolgen sollte. Wenige Wochen später konnten wir in der intensivierten Video-EEG-Langzeit-Untersuchung mehrere für den Patienten typische epileptische Anfälle aufzeichnen, die auf einen Anfallsursprung links temporo-mesial hinwiesen. Da eine eindeutige Kongruenz mit dem MRT-Befund einer linksseitigen Hippocampus-Sklerose bestand, empfahlen wir dem Patienten eine standardisierte anteriore Temporallappen-Resektion, die unter Einschluss von Hippocampus und Amygdala die vorderen zwei Drittel des Schläfenlappens umfasst. Wir klärten den Patienten darüber auf, dass – auf der Basis des heutigen Wissensstands – bei rein medikamentöser Therapie nicht mit einer anhaltenden Anfallsfreiheit gerechnet werden kann. Der Patient willigte in die Operation ein, diese konnte zwei Wochen später, im Mai 2013, komplikationslos durch unsere neurochirurgischen Kooperationspartner in der Charité durchgeführt werden.

Ein Jahr nach der Operation wurde der Patient zur Kontrolle erneut kurz bei uns stationär untersucht. Seit der Temporallappen-Resektion sind bei dem Patienten keine weiteren Anfälle mehr aufgetreten. Neuropsychologisch sind keine durch die Operation verursachten Defizite festgestellt worden.

Der Patient hat im Frühjahr 2014 sein Abitur erfolgreich bestanden, er wird im Herbst 2014 ein Studium beginnen. Insbesondere schätzt er seine durch die Operation gewonnene Unabhängigkeit, er kann alleine schwimmen und wird in den kommenden Wochen seinen Führerschein erwerben.

Während die pharmakologische Therapie der Epilepsien eine symptomatische, d.h. eine lediglich anfallsunterdrückende, ist, stellt die Epilepsiechirurgie einen kausalen (= ursächlichen) Behandlungsansatz dar. Temporallappen-Resektionen bei nachgewiesener Hippocampus-Sklerose führen in über 70% der Fälle zu kompletter Anfallsfreiheit. Nach zwei Jahren postoperativer Anfallsfreiheit können die Antiepileptika reduziert und perspektivisch ggf. auch abgesetzt werden. Wenn bei Patienten mit Epilepsie Resistenz gegenüber zwei Antiepileptika nachgewiesen worden ist, sollten die Patienten zeitnah hinsichtlich eines potenziellen epilepsiechirurgischen Eingriffs evaluiert werden. Je jünger die Patienten zum Zeitpunkt der Operation sind, umso besser ist die soziale Prognose.

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