Fall des Monats

Einmal Epilepsie – immer Epilepsie? | 2-2018

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Ein 37-jähriger Mann wird als Versicherungsnehmer bei einer privaten Unfallversicherung mit der Begründung abgelehnt, dass er an einer Epilepsie leide. Konkret trat bei dem Patienten im 21. und 23. Lebensjahr jeweils ein tonisch-klonisch generalisierter Anfall ohne erinnerliche fokale Einleitung aus dem Wachen heraus auf. Ein Anfall manifestierte sich am späteren Vormittag, der andere am frühen Abend. Es gab keine Triggerfaktoren wie Schlafentzug, Fieber oder die Einnahme potenziell prokonvulsiver Substanzen. Die Familienanamnese für Epilepsien war leer. Auch auf konkrete Nachfrage gab es keine Hinweise auf weitere Anfallstypen. Ein Routine-EEG und ein EEG nach Schlafentzug blieben damals ohne pathologischen Befund, auch ein Kopf-MRT war unauffällig. Nach dem zweiten unprovozierten Anfall wurde korrekterweise die Diagnose einer Epilepsie gestellt; da es weder Hinweise auf eine fokale, noch auf eine generalisierte Genese gab, wurde die Epilepsie als unklassifiziert eingeordnet. Wegen des erhöhten Risikos für weitere epileptische Anfälle wurde eine Therapie mit Levetiracetam begonnen, die maximale Tagesdosis von 1.500 mg wurde nebenwirkungsfrei vertragen. Auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten wurde Levetiracetam nach 2 Jahren Behandlung wieder abgesetzt. Ein Routine-EEG 6 Monate nach Absetzen war ebenfalls unauffällig.

Die Frage ist, wie lange nach dem letzten Anfall und wie lange nach Absetzen des Antiepileptikums bei dem Patienten formal eine Epilepsie besteht – für immer? Die Internationale Liga gegen Epilepsie hat in einem Positionspapier 2014 (Fisher et al. in Epilepsia) den Beginn und das Ende einer Epilepsie klar definiert. Eine Epilepsie beginnt – wie in dem vorliegenden Fall – mit dem zweiten unprovozierten Anfall oder auch schon mit dem ersten unprovozierten Anfall, wenn durch EEG- oder MRT-Untersuchungen nachgewiesen werden kann, dass das Risiko für einen zweiten Anfall deutlich erhöht ist, d.h. konkret, wenn das Rezidivrisiko in den nächsten 10 Jahren bei über 60% liegt. Die Epilepsie gilt bei einem individuellen Patienten als beendet (im englischen Original „resolved“), wenn der letzte Anfall mehr als 10 Jahre zurück liegt und wenn in den letzten 5 Jahren kein Antiepileptikum mehr eingenommen wurde.

In dem aktuellen Fall hat der Patient seit 14 Jahren keine Anfälle mehr und er nimmt seit 12 Jahren kein Antiepileptikum mehr ein. Bei ihm besteht keine Epilepsie mehr. Dies bedeutet ganz pragmatisch, dass für den Patienten auch keinerlei Einschränkungen beim Führen eines Kraftfahrzeugs mehr bestehen, dies gilt auch für das Führen von Lastkraftwagen und Bussen. Die Versicherung kann sich in ihrer Ablehnung also nicht darauf berufen, dass bei dem Patienten (noch) eine Epilepsie besteht. Ob eine frühere, seit mehreren Jahren beendetet Epilepsie ein Ausschlusskriterium für einen Versicherungsabschluss bedeutet, muss ggf. rechtlich geklärt werden.

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