Forschung

Projekte

Das übergeordnete Ziel unserer Forschungsprojekte besteht darin, die Lebensqualität aller Patienten mit Epilepsie nachhaltig zu verbessern. Dies soll durch eine Reihe von Strategien erreicht werden, die von verschiedenen Ebenen ausgehend in dem Ziel münden, klinische, experimentelle und translationale Forschung mit Krankenversorgung von hoher Qualität zu verbinden. Das Netzwerk Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg mit der Abteilung für Epileptologie und dem Institut für Diagnostik der Epilepsien am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, mit der Epilepsie-Klinik Tabor in Bernau und mit der klinischen und experimentellen Epileptologie an der Klinik für Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin bietet in Zusammenarbeit mit anderen neurowissenschaftlichen Forschungsgruppen an der Charité und anderen deutschen und internationalen Kooperationspartnern hier ideale Voraussetzungen. Unsere wissenschaftlichen Schwerpunkte werden durch die „Friedrich-von-Bodelschwingh-Stiftungsprofessur für Epileptologie“, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Stiftung Charité und die Volkswagen-Stiftung in Form des Friedrich-Luft-Stipendiums und verschiedener Industriekooperationen gefördert.

Klinische Forschung

Unsere klinischen Forschungsprojekte basieren maßgeblich auf epidemiologischen, retrospektiven, Querschnitts- und prospektiven Studien zu epileptischen Anfällen und Epilepsien. Neben Daten zur Anfallsprognose werden immer auch Aspekte von Lebensqualität und anderen sozialen Faktoren erhoben. Ein Projekt beschäftigt sich im Rahmen einer Interventionsstudie mit der Wirksamkeit und Verträglichkeit der Tiefen Hirnstimulation bei Patienten mit schwer behandelbarer Epilepsie.

Epidemiologische Studien

In diesem Projekt untersuchen wir bei über 300 Patienten mit Epilepsie die Häufigkeit von anfallsbezogenen (periiktalen) und anfallsunabhängigen (interiktalen) Kopfschmerzen. Zudem sollen Risikofaktoren für Kopfschmerzen bei Menschen mit Epilepsie identifiziert werden.

In dieser Studie werden Daten erhoben zur Häufigkeit und zur Menge des Konsums von Nikotin, Alkohol und illegalen Drogen. Es soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob der Konsum von Alkohol bei Patienten mit Epilepsie das Risiko für zeitnah auftretende epileptische Anfälle erhöht. Zudem soll das Beratungsverhalten von Ärzten zum Thema Alkohol bei Epilepsien untersucht werden.

In diesem Kooperationsprojekt mit dem Institut für Geschlechterforschung in der Medizin der Charité untersuchen wir, inwieweit sich Epilepsien bei Männern und Frauen hinsichtlich Anfallsform, Anfallsfrequenz, Epilepsiesyndrom, Ätiologie, Art und Dosis der Medikation sowie potenziellen Nebenwirkungen unterscheiden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Wahrnehmung und Verarbeitung der Erkrankung unter dem Blickwinkel des Geschlechts. Diese Aspekte sind in der epileptologischen Forschungslandschaft bisher kaum untersucht.

Uns steht das umfangreiche Krankenblattarchiv des ehemaligen Direktors der Klinik für Neurologie der Freien Universität Berlin, Herrn Prof. Dr. Dieter Janz, zur Verfügung. Wir untersuchen bei Patienten mit Absence-Epilepsien, mit juveniler myoklonischer Epilepsie sowie mit Aufwach-Grand Mal Epilepsien mit einer Mindestdauer von 20 Jahren die Prognose hinsichtlich Anfallsfreiheit, Einnahme von Antiepileptika und sozialer Faktoren. In allen drei Subgruppen der idiopathisch generalisierten Epilepsie haben die eingeschlossenen Patienten eine mittlere Krankheitsdauer von ca. 45 Jahren. Erste Ergebnisse zeigen, dass viele Patienten in den letzten 5 Jahren und länger frei von epileptischen Anfällen sind.

In dieser retrospektiven Arbeit untersuchen wir den Verlauf von erstmaligen akut-symptomatischen und unprovozierten Anfällen bzw. neu aufgetretenen Epilepsien über einen Zeitraum von 1-3 Jahren. Die Population besteht aus Patienten mit ersten Anfällen, die in stationärer Behandlung der Klinik für Neurologie der Charité waren. Diese Patienten werden anhand eines standardisierten Fragebogens hinsichtlich des weiteren Auftretens von Anfällen, der antiepileptischen Medikation, potenziellen Nebenwirkungen und sozialen Faktoren nachuntersucht. Diese retrospektive Analyse ist eine Pilotuntersuchung für eine in Vorbereitung befindliche prospektive Studie zum Langzeitverlauf erster epileptischer Anfälle und neu aufgetretener Epilepsien.

Tiefe Hirnstimulation

Patienten mit Epilepsie, die trotz des Einsatzes mehrerer Antiepiletika nicht anfallsfrei geworden sind, können möglicherweise einem epilepsiechirurgischen Eingriff unterzogen werden. Hier wird die Region mit dem Anfallsursprung chirurgisch entfernt. Ein solcher Eingriff kommt aber nur bei den Patienten in Frage, bei denen ein einziger Anfallsfokus eindeutig identifiziert und dieser entfernt werden kann, ohne dass bleibende neurologische Ausfälle auftreten. Daher kann bei vielen Patienten ein solcher Eingriff nicht durchgeführt werden. Hier steht nun ein Therapieverfahren zur Verfügung, bei dem über Elektroden umschriebene Regionen des Gehirns elektrisch stimuliert werden, um so eine deutliche Minderung der Zahl und der Schwere der Anfälle zu erzielen. Die Wirksamkeit und die Verträglichkeit dieser Tiefen Hirnstimulation bei Epilepsie testen wir gerade in einer Studie in Kooperation mit der Klinik für Stereotaktische Neurochirurgie der Universitätsklinik Magdeburg. Die Stimulationsorte umfassen neben dem anterioren Thalamus den Ncl. accumbens. Neben den klinischen Daten untersuchen wir lokale Feldpotenziale aus den genannten Kerngebieten mit und ohne elektrische Stimulation, um so ein besseres pathophysiologisches Verständnis der neurobiologischen Zusammenhänge zu erzielen.

Experimentelle und translationale Forschung

Unsere experimentellen Forschungsprojekte umfassen in vitro Analysen an Hirnschnittpräparaten sowie in vivo Untersuchungen am Ganztier (Nager). Beide Modellansätze bearbeiten Fragestellungen, die sich aus dem klinischen Alltag hinsichtlich des pathophysiologischen Verständnisses der Epilepsien und der Suche nach neuen Therapieansätzen ergeben. Die Ergebnisse unserer experimentellen Untersuchungen sollen dann einem translationalen Ansatz folgend beim Patienten direkt oder indirekt angewandt werden.

In Hirnschnittpräparaten von Ratten und aus humanen Resektaten (nach Epilepsiechirurgie) setzen wir in Ergänzung zu den elektrophysiologischen Messungen verschiedene optische Verfahren ein, um grundlegende pathophysiologische Mechanismen der Anfallsentstehung (Iktogenese) besser zu verstehen. Mit Hilfe intrinsischer optischer Signale, d.h. aktivitätsabhängiger Änderungen der optischen Eigenschaften des Hirngewebes, können Ursprung und Ausbreitung epileptischer Aktivität „sichtbar“ gemacht und analysiert werden. So konnten wir signifikante Unterschiede der genannten Merkmale epileptischer Aktivität während der postnatalen Hirnentwicklung, im hohen Alter und nach Status epilepticus aufzeigen. Außerdem setzen wir mikrofluorometrische Methoden ein, die durch Farbstoffe oder gewebseigene Fluoreszenz Aussagen über den zellulären Energiemetabolismus während epileptischer Aktivität erlauben. Aktuell untersuchen wir mit der räumlich und zeitlich hoch auflösenden Methode des Voltage sensitive dye imaging, der Messung neuronaler Aktivität mit Hilfe spannungsabhängiger Farbstoffe, epileptiforme Entladungen in Hirnschnittpräparaten von epileptischen Tieren.

Ausgehend von dem Modell des elektrisch induzierten Status epilepticus (Tractus perforans-Stimulation) können wir mit kurzer Stimulation (5 sec) bei naiven wie bei chronisch epileptischen Tieren stereotype limbische Anfälle ohne motorische Zeichen induzieren. Mit diesem Verfahren lassen sich verschiedene pharmakologische, aber auch nicht-pharmakologische Interventionen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zunächst im naiven Tier prüfen („screenen“) und bei Erfolg auf das chronische Modell übertragen. Wir untersuchen mit diesem neuen methodischen Ansatz verschiedene Parameter der Tiefen Hirnstimulation (THS) in unterschiedlichen Hirnregionen. Neben dem direkten Einfluss auf das Auftreten von epileptischen Anfällen untersuchen wir zudem die Änderung der Inhibition und Exzitation in mesio-temporalen Strukturen durch die THS mit Hilfe des Doppelpuls-Paradigmas. Sollten sich Stimulationsorte und –paradigma der THS im Tiermodell als wirksam darstellen, können diese mittelfristig auf die Neurostimulation bei Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie übertragen werden.

Mit dem Modell des selbsterhaltenden elektrisch induzierten Status epilepticus untersuchen wir die antikonvulsiven Eigenschaften von Pharmaka und nicht-pharmakologischen Therapieansätzen. So haben wir frühzeitig die antikonvulsive Potenz des Anästhetikums Propofol, aber auch die des Diuretikums Furosemid aufzeigen können. Zudem haben wir den Einfluss der Hypothermie auf den Status epilepticus untersucht und so experimentelle Daten für den möglichen klinischen Einsatz bei Patienten mit refraktärem Status epilepticus erhoben.

Das bisherige pharmakologische Behandlungskonzept zur „Behandlung“ der Epilepsien besteht darin, das weitere Auftreten von epileptischen Anfällen zu verhindern. Somit handelt sich formal um eine Sekundärprophyalxe. Pharmakologisch kann die Erkrankung Epilepsie zurzeit nicht behandelt werden, der einzige kausale Behandlungsansatz besteht in der chirurgischen Entfernung des Anfallsfokus. Das Ziel dieses Projektes besteht darin, nach einer erworbenen Hirnschädigung die Entwicklung einer Epilepsie zu verhindern bzw. deren Ausmaß zu minimieren. Voraussetzung ist ein besseres pathophysiologisches Verständnis der Epileptogenese (d.h. der Entwicklung einer Epilepsie). Die im klinischen Alltag üblicherweise eingesetzten anfallsunterdrückenden Substanzen („Antiepileptika“) wurden von vielen Arbeitsgruppen ohne durchschlagenden Erfolg untersucht. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt untersuchen wir mit dem Modell der Epileptogenese nach selbsterhaltendem Status epilepticus, inwieweit die Hypothermie die Entwicklung einer chronischen Epilepsie verhindern, verzögern oder abschwächen kann.

An der Entstehung und Fortleitung epileptischer Aktivität im Gehirn spielen sogenannte Ionenkanalproteine eine entscheidende Rolle. Ionenkanäle sind Membraneiweiße, welche geladene Teilchen zwischen Zellinnerem und Zelläußerem transportieren und somit entscheidend zur Signalweiterleitung und Erregbarkeit beitragen. Die pharmakologische Beeinflussung der Ionenkanalaktivität kann epileptische Anfälle unterdrücken und wird heute bereits in der Behandlung von Epilepsien verwendet. Um die beteiligten Mechanismen besser verstehen zu können und somit neue Therapieansätze zu entwickeln, untersuchen wir mit Hilfe von hochauflösenden elektrophysiologischen Methoden (sog. Patch-Clamp-Technik) die elektrischen Eigenschaften einzelner Zellen und Zellnetzwerke. Dazu verwenden wir spezifische Pharmaka, welche die Aktivität von bestimmten Proteinen beeinflussen können. Wir arbeiten mit Hirnschnittpräparaten von Ratten und Mausmodellen, in denen einzelne Ionenkanalproteine duch genetische Verfahren “ausgeschaltet” oder in ihrer Funktion verändert worden sind. So konnten wir beispielsweise zeigen, dass eine bestimmte Unterform eines Kaliumkanals im Gegensatz zu den übrigen Unterformen bei Ausschaltung nicht an der Epilepsieentstehung beteiligt ist, sondern die Erregbarkeit in Gehirnnetzwerken hemmt. Aktuell möchten wir der Frage nachgehen, inwiefern die eben genannte Ausschaltung des Kaliumkanals auch in Epilepsiemodellen eine schützende Funktion ausüben kann.

Kooperationspartner