Fall des Monats

Cannabis bei Epilepsie | 5-2017

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Eine 27-jährige Patientin leidet seit 12 Jahren an einer Epilepsie mit jährlich ein bis zwei „kleineren“ Anfällen mit einer Bewusstseinsstörung (komplex-fokale Anfälle) für 30-40 sec. und früheren „größeren“ Anfällen mit Bewusstseinsverlust (tonisch-klonisch generalisierte Anfälle). Die Ursache der Epilepsie ist unklar, es besteht also eine kryptogene fokale Epilepsie. Die Patientin ist mit zwei Antiepileptika behandelt, Levetiracetam mit täglich 2.000 mg und Oxcarbazepin mit täglich 1.200 mg. Außer einer leichten Müdigkeit und subjektiven Konzentrationsstörungen wird die Kombinationstherapie gut vertragen.

Seit einigen Jahren fragt die Patientin, ob ihre Epilepsie nicht auch mit Cannabis behandelt werden kann, sie habe davon in der Zeitung gelesen. In der Tat ist es seit Frühjahr 2017 in Deutschland möglich, Cannabis zur Behandlung einer Reihe von Erkrankungen zu erhalten, wenn der Arzt andere Therapieoptionen erfolglos geprüft hat und Cannabis für den nächsten sinnvollen Schritt hält. Die Krankenkassen sind verpflichtet, die Kosten für die Therapie mit Cannabis zu übernehmen.

Das Problem besteht darin, dass es bisher keine sichere Evidenz dafür gibt, dass Cannabis bei Epilepsie hilft. Das bei Epilepsien eingesetzte Cannabis-Derivat Cannabidiol wurde bisher nur bei Patienten (meist Kindern und Jugendlichen) mit sehr schwer verlaufenden, besonderen Formen der Epilepsie eingesetzt. In einer US-amerikanischen Studie mit 200 meist jungen Patienten konnte gezeigt werden, dass der Einsatz von Cannabidiol die Häufigkeit epileptischer Anfälle um gut ein Drittel senkt.

Diese Studie beinhaltete aber keine verblindete Kontrollgruppe, die analog dem Cannabidiol ein Placebo eingenommen hat (der Placebo-Effekt führt bei pharmakoresis­tenten Epilepsien in den ersten Monaten zu einer Reduktion der Anfallsfrequenz von 15-20%). Außerdem haben 50% der Patienten Clobazam und 30% Valproat ein­genommen. Cannabidiol führt bei beiden Substanzen zu einem signifikanten Anstieg der Serum-Konzentration. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Reduktion der Anfallsfrequenz in dieser Studie auf einen Placebo-Effekt und/oder auf einen pharmakokinetischen Effekt zurückzuführen ist.

Vor diesem Hintergrund kann der Einsatz von Cannabidiol bei Epilepsien zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden. Wir verweisen hier auch auf die kritische Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie.

Zurzeit werden in den USA und wahrscheinlich auch demnächst in Deutschland placebo-kontrollierte und doppel-blinde Studien zu Cannabidiol bei Epilepsien durchgeführt. Bei Nachweis der Wirksamkeit dieser Substanz kann diese dann – wie eine Reihe weiterer Antiepileptika auch – unserer Patientin empfohlen werden.

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